18b Utopia

Wenn du mittendrin anfängst, verstehst du nicht alles: Beginne lieber am Anfang.

Alle Völker ohne Ausnahme werden mehr durch Sitten und Gebräuche als durch Gesetze und Gebote regiert. Je mehr ein Volk lebendige Sitten und Gebräuche hat, desto weniger bedarf es der Gesetze.

Zitat: Ernst Moritz Arndt

Mein Name ist Volkmar. Ich lebe seit einigen Jahren im niedersächsischen Hannover. Hier, im Stadtteil Herrenhausen, gibt’s schon seit gefühlten Ewigkeiten einen netten Verteilpunkt für frische Lebensmittel. Eigentlich laufen diese Verteilpunkte automatisch, aber wenn ein Mensch Freude an der Arbeit mit anderen Menschen und das auch noch in Verbindung mit Essen und Trinken hat, kann die Robotik natürlich auch ignoriert werden. Mir macht es jedenfalls Spaß und vielen meiner Gäste ebenfalls, denn mit einem Blechheini macht es keinen Spaß, über Gaumenfreuden zu sinnieren. Es ist ja nicht so, dass man hier nur Lebensmittel für die heimische Küche abholen kann. Es stehen im hinteren Bereich der Räume auch ein paar Tische zur Verfügung, an denen man vor Ort seine hier zubereiteten Speisen genießen kann. Wer es gerne mag, kann in der Küche seine Mahlzeit sogar selbst zubereiten. Die Feinschmecker, bei denen es mit dem Kochen nicht so gut bestellt ist, können auch den Autochef zu Rate ziehen, der ihnen diesen Part dann abnimmt. Bei unserer Gruppe ist es noch ein wenig anders: wir kochen abwechselnd und treffen uns dazu regelmäßig hier im ‚Restaurant‘. Heute war ich dran. Der Verteilpunkt ist also viel mehr als ein simples Warenlager.

Ich rede gerade mit Lissy, einer jung gebliebenen Dame mit italienischen Wurzeln, die während der Unruhen Ende der Zwanziger noch in Essen in der Metropole Ruhr gelebt hat. Sie hat diesen ganzen Mist als junge Erwachsene miterlebt und hatte seinerzeit keine Erklärung mehr dafür, warum ihre Elterngeneration dermaßen am damals betriebenen Betrugsmodell der Berufspolitiker festhielt. Viele junge Menschen konnten es seinerzeit nicht fassen, dass die Älteren es einfach nicht wahrhaben wollten, dass sie ihr Leben lang immer nur betrogen worden waren. Selbst nach der dritten Bundestagswahl innerhalb von 7 Monaten wollten sie es nicht wahrhaben. Diese spezielle Kaste von Subjekten, diese Berufspolitiker, hatte schon immer nur ihren eigenen Vorteil und Machterhalt im Sinn. Nie etwas anderes. Kurz vor dem Zusammenbruch versuchten sie tatsächlich schon wieder, sich mit der Sturheit einer Dampfwalze über den Wählerwillen hinwegzusetzen – und das natürlich mit voller Unterstützung der Gerichte. Gewaltenteilung? Fehlanzeige! Demokratie? Schon lange nicht mehr! Die Richter stammten allesamt aus den Reihen der Berufspolitiker. Aber die Generation der Erwachsenen bemerkte es nicht. Irgendwie merkten die gar nichts mehr.

Ein paar Häufchen junger Menschen im Alter meiner guten Freundin Lissy, die eigentlich Alicia heißt, fanden sich zusammen und gingen auf eigene Faust in die Vertretungen, die Botschaften und die Konsulate der damaligen Alliierten Siegermächte und baten sie um Hilfe. Hilfe zur Selbsthilfe. Sie vertrauten ihren Großeltern und Eltern nicht mehr, die offenbar fest in ihren alten Mustern gefangen waren. Die amtierende Politikerkaste war kurz davor, einen dritten Weltkrieg von deutschem Boden aus zu entfachen, nur um ihre Machtpositionen in einer zerbrochenen und bankrotten BRD nicht zu verlieren. Und das Ganze auch noch im Dunstkreis einer noch korrupteren NGO namens ‚Europäische Union‘.

Sie hatten kaum damit gerechnet, aber sie erhielten tatsächlich die erhoffte Hilfe. Die Alliierten legten die nach Ende des Krieges gegen Japan und Deutschland verhängte Feindstaatenklausel in dem Sinne aus, dass Deutschland erneut eine aggressive Politik verfolgt. Das wiederum erlaubte ihnen, Zwangsmaßnahmen ohne besondere Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat zu verhängen, was auch militärische Interventionen einschließt. Kurzum: Die BRD wurde außer Kraft gesetzt, alle Politikprofis wurden ihrer Positionen enthoben und festgesetzt. Eine von Ost und West gemeinsam aufgestellte Militärregierung übernahm die Geschäfte, um wieder Ruhe ins Spiel zu bringen und die Angst vor dem Krieg in den Köpfen der Menschen abklingen zu lassen.

Und endlich durften die jungen Menschen sich zusammensetzen. Nachdem sie sich von ihren Alten im Stich gelassen fühlten. Nachdem sie verhindern konnten, als Kanonenfutter in einen neuen Krieg gejagt zu werden. Nach so vielen Jahrzehnten taten sie das, was laut dem von den Alliierten damals etablierten „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“, Artikel 146 schon längst überfällig war: Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Die korrupte Politikerkaste hatte die Bevölkerung, schon von Beginn der BRD an, immer im Glauben gelassen, dass das Grundgesetz unsere Verfassung sei. Direkt nach dem Krieg waren die Menschen in Deutschland auch noch dermaßen gebeutelt, dass sie sich überhaupt nicht zutrauten, dem absolut eindeutigen Text zu folgen und ihrer Pflicht nachzukommen. Wenn eine Lüge nur oft genug wiederholt wird, dann wird sie irgendwann zur gefühlten Wahrheit. Die Menschen jedenfalls ließen sich von der Politikerkaste einlullen und vertrauten Ihnen blind. Bis in die Endzwanziger, bis in den Tod. Nur, dass dieser Tod die jungen Menschen mit sich gerissen hätte und nicht die blinden und arglosen Alten, während die Politikprofis und die Bosse der Rüstungsindustrie ihre guten Geschäfte mit Sekt feierten.

Doch die jungen Menschen konnten genau diesen Sieg der korrupten Kaste verhindern. Nie wieder sollte die Korruption eine Chance erhalten. Nie wieder sollten die Abgeordneten des Volkes ein Spielball von Mächten werden, die aus dem Hintergrund ihre Netze sponnen. Zukünftig sollte jeder Deutsche zu jedem Zeitpunkt auf die Politik Einfluss nehmen können. Nicht nur alle vier Jahre. Nicht nur, um vor der Wahl belogen und nach der Wahl betrogen zu werden. Nie wieder!

Die jungen Menschen haben tatsächlich erreicht, was keiner der indoktrinierten Alten für möglich gehalten hat. Sie etablierten ein neues System. Ganz anders als alle bisherigen Systeme. Eines darf man lächelnd noch erwähnen: als die jungen Menschen mit der Ausarbeitung der neuen Verfassung begannen und die Grundlagen für ihr völlig neues System definierten, standen plötzlich etliche der alten Menschen parat, um mit ihrem umfangreichen Wissen und ihren tollen Kontakten aus alten Tagen wohlwollend behilflich zu sein. Sie wurden umgehend und nachdrücklich abgewiesen. Genau diese Kontakte wollten die jungen Menschen mit tödlicher Sicherheit nie mehr in ihrer Nähe haben. Unser Dank richtet sich an Menschen wie Lissy und ihre Freunde. An die, die damals nicht mehr schweigend in den Untergang gehen wollten. Sie haben ihr Leben in die eigenen Hände genommen, sich ihrer Verantwortung gestellt und sich die Aufgabe nicht mehr aus den Händen reißen lassen. Danke.

 

Wir leben in einer Welt, die nicht von Profitgier beherrscht wird. Es gibt keine Zinsen und keine Zinseszinsen. Geld spielt keine so große Rolle mehr. Es funktioniert auf eine Art, wie sie von Silvio Gesell beschrieben, im Falle von Wörgl verwendet, oder als Gradido neu entdeckt wurde. Dadurch hat das Geld einen Großteil seiner Macht verloren und die Korruption konnte entschieden eingedämmt werden.

Wir verwenden modernste Technologie im Einklang mit natürlichen Frequenzen. Beinahe alle Menschen sind miteinander vernetzt. Nur steht hinter dieser Technologie kein Konzern mit Gewinnabsicht mehr, sondern sie wird von selbstverwalteten EDV-Centern aus betrieben. Die Privatsphäre eines jeden Menschen ist in dem Maße geschützt, wie er selbst es wünscht. Extrovertierte Persönlichkeiten können alles über sich preisgeben und introvertierten Persönlichkeiten reicht schon eine anonyme ID mit einem privaten Schlüssel. Alles dazwischen ist möglich und jederzeit veränderbar.

Es gibt jedoch Ausnahmen. Eine davon sind die Stadträte. Sie stehen in der Öffentlichkeit. Jeden Monat werden 10 Menschen mit Hilfe eines Zufallsprinzips in den Rat der Stadt einberufen. Diese Auswahl ist verbindlich und darf nicht abgelehnt werden. Die neuen Ratsmitglieder erfüllen dort für zwei Jahre ihre Aufgaben und lösen bei ihrem Eintritt die 10 dienstältesten Ratsmitglieder ab. Im ersten Monat wird jeder der Neuen einen der Alten durchgehend begleiten.

In 24 Monaten treten auf diese Weise 240 Menschen in den Kreis der Räte ein und 240 Menschen verlassen diesen Kreis wieder. Die Kopfzahl des Rates bleibt durch den stetigen Austausch stabil.

Der Rat besitzt 24 Sprecher, die den Rat nach außen vertreten. Zum Beispiel zu anderen Städten oder sonstigen Gemeinschaften. Diese 24 Menschen werden, ebenfalls per Zufallsprinzip, aus den 240 Ratsmitgliedern erwählt. Diese Auswahl darf jedoch abgelehnt werden, weil nicht jeder Mensch ein kommunikatives Talent hat und sich in einer solchen Position unwohl fühlen könnte. Dann wird nachgerückt, bis die 24 wieder voll sind. Die Sprecher sind auch für sogenannte Blitzentscheidungen zuständig, wenn der Rat nicht schnell genug abstimmen kann. Allerdings muss jede Blitzentscheidung anschließend vom Rat bestätigt oder aufgehoben werden.

Dazu gibt es eine Gruppe von 120 erfahrenen Mitarbeitern, die dem Stadtrat zuarbeiten. Sie nehmen die Anträge und Wünsche der Einwohner auf und legen sie den Räten in Form von Berichten zur Entscheidung vor. Die Räte können jederzeit weiterführende Informationen bei den Ratshelfern anfordern. Sie bilden die Schnittstelle zwischen den Stadtbewohnern und den Stadträten. Sie haben jedoch keine Beraterfunktion.

Falls einer der Räte eine zusätzliche Meinung benötigt, steht es ihm frei, eine Umfrage bei der betroffenen Bevölkerung durchzuführen. Die Menschen sind die Experten ihres Lebens. Letztlich stimmen die Räte mit Ja oder Nein oder einer Erklärung ab. Hierzu müssen die Räte sich nicht versammeln. Die Kommunikation findet auf elektronischem Wege statt. Persönliche Treffen sind eher selten. Die Räte sind praktisch immer im Dienst, haben für sich aber Kernarbeitszeiten definiert, auf die die Ratshelfer möglichst Rücksicht nehmen werden.

Auf gleichem Wege werden die Berichte der städtischen Dienste kommuniziert. Sollten bei der Umsetzung von Entscheidungen nennenswerte Probleme oder bei Alltagsaufgaben irgendwelche Störungen auftreten, die nicht durch die Teams der städtischen Dienste selbst oder die Ratshelfer abgestellt werden können, werden umgehend die Räte informiert. Die Arbeit der 240 Räte ist mal ruhig und mal hektisch – aber nach 24 Monaten ist sie zu Ende.

Die Ratshelfer bleiben länger im Dienst. Für sie ist es ihr Beruf, den sie sich ausgesucht haben. Sie sind nicht gewählt. Sie sind nicht stimmberechtigt. Sie kümmern sich ausschließlich darum, den Räten alle notwendigen Informationen zukommen zu lassen und sie vor störenden Einflüssen zu bewahren. Dies erfordert viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Sie werden zwei Jahre lang ausgebildet und dienen dem Rat anschließend bis zu acht Jahre. Danach gilt ihre Lebensarbeitszeit als erfüllt.

So kommen wir, hier in Hannover, bislang gut zurecht. Das wichtigste Kriterium für die Gründer des Systems war, keine professionellen Politiker zu dulden. Keine internen Absprachen, keine Seilschaften. Menschen aus allen Schichten arbeiten auf eine bestimmte Zeit zusammen und bilden keine politischen Cliquen, die sich gegenseitig in den Sattel helfen. Nie mehr Parteien – immer nur den Menschen im Fokus. Bestechungen und Versprechungen sind beinahe sinnlos, weil niemand lange genug im Amt ist oder eine politische Karriere anstreben könnte. Für Hannover, eine Stadt mit 500.000 Einwohnern, passt unser Konzept.

Lissy stammt aus Essen. Einer von 53 Städten in einem Ballungszentrum mit über fünf Millionen Menschen. Stadt an Stadt – ohne auch nur einen Meter Gras dazwischen. So eine riesige Menschenmenge fühlt kein echtes WIR. Sie werden nie eine zusammenstehende Gruppe oder ein verbundenes Rudel sein. Deshalb wird auch der Schwachsinn einer Weltregierung nie funktionieren. Auch nicht, wenn die Globalisten diese Idee noch so sehr herbeizwingen wollen. Es sind zu viele Individuen. Ein nicht lenkbarer Moloch.

Das Ruhrgebiet musste also in lenkbare Zellen zerteilt werden. So, wie viele andere große Ballungsräume auf der Welt.

Selbst hier im relativ kleinen Hannover mussten die Gründer ziemlich schnell auf eine gerechte Berücksichtigung der Stadtteile bei der Ratswahl umstellen. Die Menschen fanden es seltsam, dass in einem Monat alle 10 neuen Räte aus demselben Stadtteil kamen. Es war nur Zufall, aber der Auswahlalgorithmus wurde entsprechend angepasst. Man muss nur drüber reden.

In anderen Regionen Deutschlands gibt es sogar noch ganz andere Varianten. Doch eins ist in allen Verfahren gleich: Es werden keine Parteien mehr gewählt. Oder Gruppen oder Vereine oder Clans oder Kasten oder wie immer sich derartige Seilschaften auch nennen mögen. Die nur darauf ausgelegt sind, sich die Karriereleiter hochzuschieben, indem sie sich gegenseitig den Steigbügel halten. Heute Politik, morgen Wirtschaft oder Ämter in unüberschaubaren Behörden und Institutionen. Hauptsache, die Kasse stimmt. Das wird niemals wieder geschehen. Einzelne Menschen aus der Region werden ausgewählt. Für eine überschaubare Periode. Danach werden sie diese Position wieder verlassen.

Alle Argumente der Befürworter von Politikprofis, dass erfolgreiche Führung nur durch die Erfahrung und das persönliche Netzwerk dieser elitären Helden möglich sei, hatten sie selbst widerlegt. Sie scharten hunderte von bezahlten Beratern und sogenannten Experten um sich, weil sie selbst von nichts eine Ahnung hatten. Sie konnten sich nur gut verkaufen. Das Geld für diese tollen Berater stammte natürlich aus Steuereinnahmen. Rein zufällig gehörten diese Beratungsunternehmen häufig irgendwelchen Schwagern oder Cousins. So blieb die Kohle in der Familie. Ja, so war das früher. Und alle fanden es völlig normal. ‚Die da oben‘ machten das halt so. Bis die jungen Menschen ‚denen da oben‘ ihren handgeknüpften Teppich unter den polierten Designerschuhen weggezogen haben. Sie fielen hart.

Lissy grinst mit einer gewissen Genugtuung, als sie mir das schildert. Doch von einem Moment zum anderen sieht sie sehr traurig aus. Sie müsse gerade wieder an ihre Eltern denken, gesteht sie mir. An deren selbstbetrügerischer Sorglosigkeit am Abend vorm Fernseher. Mit ein paar lustigen Getränken war der ganze beschissene Tag voller Stress und Ärger mit dem Chef und dem an allen Ecken und Enden fehlenden Geld bei immer weiter steigenden Preisen wieder gerettet. Heute schien ja sogar die Sonne. Morgen wird alles besser. Spätestens morgen Abend beim Fernsehen. Da läuft Fußball.

Vielleicht sogar Essen gegen Hannover? Wir beide müssen lachen und stoßen mit einem Gläschen Wein darauf an. So war das damals, sagt Lissy. Die Menschen hielten ihr Schicksal für unabänderlich. Sie hielten ‚die da oben‘ für irgendwie gesegnet. Von wem auch immer. Deren Familien waren einflussreich und hatten schon immer genug Geld. Auf die Idee, dass sie nur wegen ihres Geldes einflussreich waren und vom echten Leben keinen Plan hatten, kamen sie gar nicht. Lissys Papa konnte aus dem Stand jedes technische Problem im Haus lösen. Genauso an den Autos. Holz, Metall, Stein – er hatte das Werkzeug und er wusste es einzusetzen. Das musste er auch, denn um für jeden Mist einen Handwerker zu bestellen fehlte der Familie das Geld.

Das hatten dafür andere Leute. Nämlich ,die da oben‘. Dass die aber eigentlich nur in der Lage waren, ihre Sekretärin zu beauftragen, sie möge doch bitte einen Notdienst beauftragen, war den Eltern nicht bewusst. Dass ‚die da oben‘ ohne ihr Geld nicht mal fähig wären, einen Nagel in die Wand zu schlagen, war ihnen auch nicht bewusst. Und Lissys Eltern waren da keine Ausnahme. Auch die anderen jungen Menschen, die versuchten, ihren Eltern und Großeltern diese Tatsachen vor Augen zu führen, sprachen gegen Mauern.

Als Kinder hatten sie zu ihren Eltern aufgeschaut. Voller Ehrfurcht und Vertrauen. Jetzt wirken ihre Eltern nur noch Klein auf sie. Unfähig, eigene Gedanken zur Zukunft zu entwickeln. Alles in ihrem Leben überließen sie denen, die davon mehr Ahnung hatten. Den gebildeten Leuten. Immer schön im Strom mitschwimmen und den Kopf unten lassen. Ja, vieles könnte besser laufen, aber was sollten sie denn schon ändern. Sie allein.

Ja, ein bisschen sentimental war Lissy heute schon drauf. Dabei war sie eine der ersten Stadträte in Essen gewesen. Die ersten Räte hatten keine leichte Aufgabe zu dieser Zeit. Da war noch nichts eingefahren. Vieles mussten sie improvisieren. Etliche Male mussten Feinarbeiten am System vorgenommen werden. Es knarzte laut im Gebälk. Einige der Räte waren fast vier Jahre im Amt, weil sie die von ihnen betreuten Projekte nicht einfach so im Stich lassen konnten. Aber das lief unter Projektleitung, auch wenn die nachgerückten neuen Räte ihnen pausenlos am Rockzipfel hingen. Eine wilde Zeit.

Nachdem ich sie daran erinnert hatte, war sie auch schon wieder gut gelaunt und erzählte noch ein paar verrückte Geschichten aus der Gründerzeit. Manches vergisst man wohl nie. Und manches ändert sich auch nie. Damals gab es in der BRD knapp 300 Wahlbezirke und dort wurden damals auch Direktmandate gewonnen. Natürlich gehörten die Gewinner dieser Direktmandate auch irgendwelchen Parteien an, aber diesen Teil konnte man ja an die neue Zeit anpassen. Und so gibt es in ländlichen Strukturen mit geringer Bevölkerungsdichte tatsächlich noch Wahlbezirke, in denen sich Menschen persönlich zur Wahl stellen. Sie treten auf dem Marktplatz oder in einer großen Scheune auf und präsentieren ihre Ideen. Auch so kann gewählt werden, wenn die Menschen das so wollen. Aber auch hier gilt: eine Legislaturperiode gleich 24 Monate. Keine Vetternwirtschaft, keine Parteien, keine falschen Versprechungen. Sonst Kündigung und tschüss.

Sie haben viel erreicht, die jungen Menschen von damals. Es war eine Menge Arbeit, aber sie waren mit Feuer und Flamme dabei. Es ging um ihre neue Welt. Sie haben alles dafür getan, dass es eine gute neue Welt wurde. Das Herz zählt mehr als das Geld. Die Menschen haben sich an das neue Leben gewöhnt. Niemand vermisst mehr den Leistungsdruck und die Ellenbogengesellschaft. Wir haben alles im Griff. Wir tun, was wir am besten können und wir tun es, weil wir Freude daran haben.

In unserem Land leben übrigens nur noch Menschen, die gerne hier leben. Solche, die nur den Sozialstaat schröpfen wollen leben nicht mehr hier. Es gibt kein Geld mehr, welches sie nach Hause senden könnten. Unsere natürlich verwelkende Währung hat im Ausland keinen Wert und aus den Ländern, in denen ein ähnliches System genutzt wird, flieht logischerweise niemand mehr.

Wir haben gelernt, dass wir allein bestimmen, was gut für die Gemeinschaft ist. Die Räte helfen uns bei der Umsetzung, aber sie bevormunden uns nicht. Wir haben erkannt, dass wir alle einen wertvollen moralischen Kompass in uns tragen. Wir haben unsere Kultur wiederentdeckt, unsere Sitten und Gebräuche. Vieles ist bei uns zurück in die Eigenverantwortung gekommen, was in der alten Welt durch tausende von Gesetzen und Regelungen für uns bestimmt worden war. Das betreute Leben von früher gibt es nicht mehr.

Alle Völker ohne Ausnahme werden mehr durch Sitten und Gebräuche als durch Gesetze und Gebote regiert. Je mehr ein Volk lebendige Sitten und Gebräuche hat, desto weniger bedarf es der Gesetze.

Zitat: Ernst Moritz Arndt

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