05b Geld macht nicht glücklich

Wenn du mittendrin anfängst, verstehst du nicht alles: Beginne lieber am Anfang.

Da rechnest du mit nichts Bösem und plötzlich erwartet dich eine so schöne Überraschung. Nun kann ich meine Sammlung also um einen asiatischen Mediziner erweitern. Das ist schon verrückt.

Ich höre Julia schon wieder auf einen gemeinsamen Namen drängen. Ich bin ja dran. Meine Gedanken gehen in die Richtung einer einzigen universellen Kraft oder Macht. Eben ‚die Einzige‘. Aber ich suche noch eine Sprache, in der das nicht so abgedroschen klingt. Vieles ähnliches in anderen Sprachen ist auch schon von diversen Internet-Stars belegt. YouTube-Influencer, oder wie man die so nennt. Das macht es nicht leichter. Kommt Zeit, kommt Name, …denke ich, …hoffe ich. Ich stelle mein Auto vor dem Haus ab und gehe rein.

Julia ist gerade selbst auf Achse, also gehe ich an den Computer und Schreibe. Ich verbringe inzwischen recht viel Zeit vor dem Monitor. Bei ‚die Gespräche‘ bin ich aktuell, bei ‚das Wort‘ stehen noch immer nur Fragmente. Natürlich hätte ich auch schnell zehn Gebote aufschreiben können, aber die gibt’s ja schon – und die sind im Laufe der Jahrhunderte und der verschiedenen religiösen Strömungen schon mehr als einmal verändert worden. Darüber hinaus will ‚die Einzige‘ nicht, dass auch Sklaven am Sabbat frei haben, sondern, dass es keine Sklaven gibt. Das ist ein bisschen mehr als eine kleine Modernisierung.

Über das seichte Rauschen meines PC-Lüfters hinweg höre ich ein Auto vorfahren und einen Fensterblick später weiß ich, dass meine Beste heimgekommen ist. Ich schalte den Computer aus und gehe runter, um eventuelle Besorgungen ins Haus zu holen.

Ich komme gerade an der Eingangstür an, als diese sich öffnet und meine Frau hereinkommt. Ein „Hallo Schatzi“ strömt mir entgegen, drückt mir einen diffusen Kuss auf die Wange und weht als „kannst du bitte die beiden Taschen aus dem Kofferraum holen“ ohne anzuhalten direkt vorüber. Ja, so kenne ich sie: Immer unter Strom. Ich hole das ‚Gepäck‘ und trage es hinein.

Ich weiß zwar nicht, wo genau Julia steckt, erhalte aber augenblicklich einen ersten akustischen Hinweis: „Ich brauche einen Kaffee.“ Wortlos gehe ich zur Maschine und bereite zwei Cappuccino zu. Nachdem der Milchschaum die Tassen angefüllt hat, beginnt der aromatische Teil des automatischen Ablaufs: Der Kaffee wird vorgebrüht und beginnt duftend zu rieseln. Vorfreude ist die schönste Freude.

Julia legt eine perfekte Punktlandung hin und trifft zusammen mit den Tassen am Tisch ein. „Ich bin platt“, schnauft sie. „Wer hat sich eigentlich den Schwachsinn ausgedacht, dass Shopping Spaß macht, hmm?“

„Vielleicht kommt es darauf an, ob du bummeln oder jagen gehst, Schatz“, stelle ich zur Auswahl.

„Wie recht du hast. Wir sollten mal wieder bummeln gehen, wir beide. Einfach nur so und ohne besonderen ‚Erfolgsdruck‘ bummeln gehen. Das wäre schön“, seufzt sie. „Wie war’s beim Doc? Alles gut, soweit?“

„Beim ersten war es toll, beim zweiten alles in Ordnung“, beantworte ich die Frage.

„Ich dachte, du wolltest nur zum Westing gehen…?“, fragt Julia interessehalber, während sie an ihrem Smartphone herumdrückt.

„Eigentlich schon, aber dann kam mir der Chang dazwischen“, sage ich beiläufig.

„Wer, bitte schön, ist Dr. Chang? Kenne ich den?“

„Nö. Der ist nicht von dieser Welt“, lautet meine Antwort.

„Nicht von…“ eine Ahnung fällt auf ihre Züge „Hast du ihn wieder getroffen?! Toll! Was gibt’s Neues? Erzähl doch schon.“ Ihr Telefon fliegt auf den Tisch und große, hübsche Augen schauen mich lauernd an.

„Er hat sich dazwischen geschummelt. Einfach so. Ich dachte zuerst, er wäre eine Urlaubsvertretung, aber dann sprach er mich mit Claude an…“

„…und da wusstest du’s“, ergänzt sie meinen Satz. „Was gibt’s für Neuigkeiten aus dem Himmel?“

Das bringt mich zum Lachen und meine Beste lässt sich anstecken. „Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob er im Himmel wohnt oder sonst wo“, überlege ich laut.

„Ich finde die Vorstellung schön, Schatzi. Das große Geistwesen im Himmel schnippst kleine Tropfen von sich hier und dort auf die Erde, um sich mit Menschen zu treffen“, schwärmt sie und ich habe kein Argument dagegen. Vielleicht ist Julias Vorstellung eine tolle metaphorische Umschreibung dessen, was wirklich geschieht.

„Ich stelle es mir gerade bildlich vor, Schatz, und es sieht wundervoll aus. Ich werde ihn nie danach fragen. Das Bild ist zu schön“, sage ich und meine es haargenau so. „Er hatte eigentlich kein Thema, weil ich ihn direkt mit einer Frage überrumpelt habe“, kläre ich sie auf und beginne mit meiner Erzählung.

Ich erzähle, dass ich mir eine Welt ohne Geld kaum vorstellen konnte und ihm das auch so sagte. Dass er es mir nicht glaubte und mich auf die Sache mit der Taschenlampe stupste. Ich zitiere seine beiden Sätze ‚Wenn du jemanden froh machst, bist du selbst auch froh. Es ist ein schönes Gefühl‘ und ‚Geld macht nicht glücklich. Lob, Anerkennung und sichtbare Freude dagegen machen glücklich‘.

Wie er mir klarmachte, dass wir in einem bedauernswerten System mit vielen Armen und wenigen Reichen stecken, die alle anderen für sich arbeiten lassen – und dass wir deshalb das riesige Potential in uns nicht nutzen können.

Wie wir beide ein Frage-Antwort-Spiel um eine Welt ohne Geld machten und wie mir langsam dämmerte, dass diese Welt gar nicht so unmöglich sein könnte. Für jeden meiner Einsprüche hatte er eine höchst simple Lösung parat. Mit immer der gleichen Einschränkung: Die Exemplare des Menschen, die nur an ihren persönlichen Vorteil denken, die Machtgelüste haben oder unter Geltungssucht leiden. Wie immer.

„Warum wir nicht selbst über unser Leben bestimmen können, fragte er mich. Und was tat ich? Ich versuchte, das zu entschuldigen, was mich selbst schon mehr als einmal zur Verzweiflung gebracht hat. Warum verteidige ich das ekelhafte Verhalten der schäbigsten Exemplare unserer Spezies?“

„Weil du einer von uns bist, Schatzi. Weil du weißt, dass diese missratenen Menschen in der Minderheit sind. Weil du eine Welt ohne Geld genauso wenig kennst, wie alle anderen Leute. Weil du im Moment seiner Erklärung überzeugt warst, dass man die Leute nur auf diese geniale Idee aufmerksam machen muss, damit sie sie annehmen und ihre Raffgier vergessen. Du glaubst an das Gute im Menschen.“

„Und warum ärgere ich mich zehn Sekunden später über meine eigenen Worte?“, sage ich lauter und aggressiver als ich es eigentlich will, was mir einen Augenblick später schon wieder leidtut.

Aber Julia ist kein bisschen beeindruckt. Es scheint, als hätte sie meinen Ausbruch beinahe erwartet. „Weil du zwar sehr begeisterungsfähig bist, aber trotzdem auch eine ganz rationale Seite hast. Eine Seite, die genau weiß, dass diese bestimmten Leute ein Problem sind. Sie werden sich nie damit abfinden, einfach nur ‚gleich‘ zu sein.“

„Du kennst mich echt gut, Schatz“, entgegne ich leicht bedrückt, „Ich kann mir einen echten Kommunismus, in dem alles Allen gehört, einfach nicht vorstellen. Der angebliche Kommunismus auf unserem Planeten wird genauso von oben herab regiert, wie jede andere Gesellschaftsform auch. Die Mächtigen sitzen am Drücker, nur die Lügen der Unterdrückung sind andere. Es ist einfach zum Kotzen.“

Julia nimmt den letzten Schluck ihres Kaffeegetränks. „Das geht Hand in Hand, Geld und Macht, da hat er schon recht. Es hängt zusammen. Wie sagte Isaak so schön? Wir sind geprägt. Wir sind gewohnt, für Leistungen zu bezahlen und für unsere Arbeit Geld zu bekommen. Und wir sind gewohnt, von jemandem regiert zu werden. Und jeder weiß, dass die Regierenden mehr Vermögen haben als die Regierten. Dafür sorgt die Regierung schon. Alle wissen es, alle ärgern sich darüber, alle nehmen es als gottgegeben hin. Warum eigentlich?“, denkt sie laut vor sich hin, um mich an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. „Wo müssen wir denn beginnen, wenn wir diesen Kreis durchbrechen wollen? Brauchen wir Politiker, die mit weniger zufrieden sind? Mit weniger Geld? Mit weniger Macht?“

„Nein“, antworte ich auf ihre vielen offenen Fragen, „Wenn wir eine Regierung mit weniger Macht einsetzen würden, hätten die Reichen die Welt in der Hand. Sie würden Abstimmungen kaufen. Sie winken mit Geldscheinen, um die Politiker auf ihre Seite zu ziehen. Das ist ja heute schon der Fall, obwohl die Regierenden sogar sehr viele Zuwendungen erhalten. Sie kriegen den Hals nicht voll.“

„Stimmt“, bekomme ich Julias Bestätigung, „Korruption ist schon heute nicht zu unterschätzen. Also brauchen wir zuerst die Welt ohne Geld…“

„…die du ohne Politiker nicht durchsetzen kannst“, werfe ich etwas unbeherrscht dazwischen, was mir auch schon wieder leidtut. „Aber mit denen auch nicht. Es ist zum verrückt werden. Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert, weißt du das?“

„Nun sieh mal nicht alles schwarz, Claude“, tröstet Julia mich, als ich meine Hände vors Gesicht lege, als wenn ich damit die ganze blöde Welt aussperren könnte. „Ich verstehe dich ja, aber du fängst doch gerade erst an. Du brauchst mehr Informationen zu Regierungsformen, oder besser, zu Gesellschaftsformen. Weißt du was? Ich braue jetzt erst mal noch einen Cappu – und ein Stück Kuchen gibt’s auch dazu. Ich habe auf der Jagd nämlich einen erlegt.“ Sie steht auf und huscht in Richtung Küche, dreht sich augenzwinkernd nochmal zu mir um, und ist verschwunden.

Ich muss lächeln. Ihr luftiger Humor verscheucht alle Regenwolken aus meinem Kopf und lässt wieder optimistischere Gedanken zu. Sie hat recht. Ich stehe am Beginn. Ich weiß zwar nicht, am Beginn von was eigentlich, aber ich bin zuversichtlich, noch irgendeinen Einfall zu haben. Oder einen Tipp zu bekommen. Von Chang vielleicht? Wer weiß.

Der Duft des Kaffees weht herüber und das hebt meine Laune noch ein wenig mehr. Oder ist es die Aussicht auf den Kuchen?

Das ist überhaupt die Lösung: Folgt mir in eine neue Gesellschaft, Leute. Bei mir gibt’s Kekse.

Meine Beste ruft: „Hilf bitte mal tragen“, und ich folge auf dem Fuße. Mit Teller und Tasse bewaffnet gehen wir zurück zum Tisch und genießen erst einmal ein paar Minuten ganz in Ruhe das köstliche Gebäck. Julia bricht als erste das Schweigen: „Lass uns doch alles nochmal durchgehen. Vielleicht übersehen wir einen kleinen Hinweis.“

„Sei nicht so ungeduldig. Ich habe noch Kuchen“, erwidere ich mit vollem Mund. „Sonst bist du immer schon fertig, wenn ich gerade anfange“, entgegnet sie trocken. Aber ich bin ja selbst gespannt auf unsere Analyse.

„Also. Ich frage ihn gezielt nach der ‚Welt ohne Geld‘ und sage ihm, dass ich Probleme damit habe. Er geht mit mir das Erlebnis mit der Taschenlampe durch. Ich muss gestehen, dass es mich glücklich gemacht hat, Dominiks Freude zu spüren. Chang ist zufrieden.“

„Na, da war sicher nichts kryptisches dabei“, bemerkt Julia trocken.

Ich denke kurz nach und erzähle weiter: „Dann versuche ich, ihm unsere Normalität beizubringen. Dass man für Geld arbeiten gehen muss und dass man dieses Geld braucht, um zu Leben. Er sagt, dass genau das unser Problem ist und dass uns dieses ‚Gelddenken‘ gewaltig einschränkt. Ja, und natürlich auch, dass wir uns damit in ein System begeben haben, in dem nur wenige reich sind und diese wenigen Reichen alle anderen für sich arbeiten lassen. Er meint, dass das schade ist, weil wir das riesige Potential in uns nicht vollkommen nutzen.“

„Wenn die Menschheit also nicht so – wie nennt man das – monetär eingestellt wäre, würde sie viel mehr erreichen?“, fragt sie, mehr an sich selbst gerichtet, in den Raum.

„Wie auch immer. Danach haben wir diese kleine Fragerunde gespielt, in der er eigentlich nur aus mir herauskitzeln wollte, dass ich nicht bis zum Ende aller Tage in meinem Sessel verrotten würde. Als er das geschafft hatte, habe ich auch kapiert, welche Möglichkeiten ich dann hätte. Und jeder andere auch. Tu, wozu du dich berufen fühlst. Was dich glücklich macht. Du stehst in keiner Abhängigkeit mehr. Du musst nicht, du willst arbeiten. Deine Arbeit macht dich glücklich, weil du andere glücklich machst. Weil du ihnen bei etwas hilfst, was sie selbst nicht können.“

„Aber wird es nicht doch den einen oder anderen geben, der sich im Sessel verliert?“, stellt Julia in Frage.

„Und wenn schon. Diese Menschen werden auf Dauer aber nicht glücklich sein. Und die Glücklichen wird es nicht ihr Glück kosten. Ich denke, hier liegt das Geheimnis“, erläutere ich Julia euphorisch meine Erkenntnis, „Stelle die eine Welt voller glücklicher Menschen vor. Hochmotiviert und voller Tatendrang. Jeder folgt seiner Berufung, ganz gleich, wie viel diese Berufung nach heutigen Maßstäben wert wäre. Eine solche Menschheit wäre pure Energie, Schatz, sie könnte Berge versetzen.“

Julia schaut mich nachdenklich an und gibt zu: „Du hast absolut recht. Aber nur, wenn ich mir die Menschheit als neugeboren vorstelle. Ohne diese prägenden Einflüsse unserer Erziehung. Doch wir alle sind mittendrin im System. Wie kommen wir da heraus?“, ereifert sie sich mit einem verzweifelten Unterton in der Stimme, „Wie fangen wir an? Es ist toll, dass Ziel zu kennen, aber wo ist der Weg? Wir stehen mitten im tiefsten Dschungel.“

„Das werde ich bald wissen, Julia. Wir brauchen einen Wechsel. Zwei Wechsel. Wir müssen das Geld loswerden Und wir müssen die Regierungen loswerden“, erkläre ich feierlich und ignoriere für den Moment Julias skeptisches Gesicht.

„Ein paar Milliarden führungslose Menschen ohne außer Rand und Band. Das wird lustig“, sagt sie nüchtern.

„Wieso?“

„Die machen doch, was sie wollen, wenn keiner draufguckt“, erklärt sie mir ihre Meinung.

„Selbstbestimmung heißt das Zauberwort. Wir brauchen keine vertikale Regierung von oben nach unten, sondern eine horizontale Verwaltung auf Augenhöhe. Ich werde mit ihm darüber sprechen“, beschließe ich – und Julia nickt bestätigend.

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